#75JahreCDU – 75 Jahre Verantwortung, 50 Jahre Regierung, 5 Bundeskanzler, eine Partei!

25.06.2020
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75 Jahre CDU zeigen zweierlei: Da ist ein tiefer Drang, Verantwortung zu übernehmen, der Wille zum Gestalten und Regieren im Jetzt – denn nur so kann eine Partei ganz konkrete Probleme lösen. Und es gibt eine starke visionäre Kraft, den Willen, nicht einfach im Hier und Jetzt stehenzubleiben und ängstlich irgendwie den Status quo zu verteidigen, sondern eine glückliche Zukunft zu gestalten.

Von Annegret Kramp-Karrenbauer.

Anfang Novem­ber 2000 – vor nunmehr zwan­zig Jahren. Das Inter­net ist noch nicht Alltag, man geht online wie auf Besuch. Neuland? Durch­aus. In Deutsch­land beginnt an diesem Tag der erste digi­ta­le Partei­tag. Die Mitglie­der disku­tie­ren darüber, wann Schul­kin­der am besten mit dem Erler­nen einer Fremd­spra­che begin­nen, ob das Abitur nach zwölf oder drei­zehn Jahren abge­legt werden soll, ob Studi­en­ge­büh­ren sinn­voll sind oder nicht. Der Name der Partei: CDU. Ihre Vorsit­zen­de: Angela Merkel.

Paris, Ende Febru­ar 1985: Dem deut­schen Wald geht es schlecht, und die Sorge vor dem Tod des Baumes schafft es bis in den Élysée­pa­last. Sein Haus­herr François Mitter­rand lässt sich anste­cken von der Sorge, die ihm ein Mann aus Deutsch­land eindrück­lich näher­bringt. Der Mann, der dieses Umwelt­pro­blem so leiden­schaft­lich schil­dert, dass die Mitglie­der der fran­zö­si­schen Dele­ga­ti­on die Augen rollen, ist Helmut Kohl, der Vorsit­zen­de der CDU.

Königs­win­ter, Hotel auf dem Peters­berg, 21. Septem­ber 1949: Die junge Bundes­re­pu­blik bekommt es schwarz auf weiß, dass sie nicht so ganz dazu­ge­hört – zur west­eu­ro­päi­schen freien Welt, wo sie der Kanz­ler doch in seiner ersten Regie­rungs­er­klä­rung tags zuvor veror­tet hatte. Das Besat­zungs­sta­tut der Hohen Kommis­sa­re schränkt die deut­sche Souve­rä­ni­tät erheb­lich ein. Doch der Kanz­ler macht seinen berühm­tes­ten Schritt, jenen auf den Teppich, der eigent­lich den Siegern vorbe­hal­ten ist. Das Bild geht um die Welt und ist ein Signal: Ein Mann will mehr für sein Land, eine Zukunft auf Augen­hö­he und Mitspra­che in der neuen west­li­chen Gemein­schaft, die gerade erst heran­wächst. Sein Name: Konrad Adenau­er, der erste CDU-Vorsitzende.

Wer sich fragt, was die CDU so erfolg­reich macht, findet hier eine Antwort: in diesen drei Geschich­ten, in diesen drei Partei­vor­sit­zen­den und Kanz­lern, in diesem gemein­sa­men Selbst­ver­ständ­nis einer Volks­par­tei der Mitte. Die Christ­lich Demo­kra­ti­sche Union Deutsch­lands bietet seit 75 Jahren immer wieder Uner­war­te­tes, auch das Visio­nä­re, immer wieder einen klaren Blick nach vorne, immer wieder zukunfts­wei­sen­de Schrit­te. Und sie bietet seit 75 Jahren prag­ma­ti­sche Problem­lö­sung und gekonn­tes Krisen­ma­nage­ment. Die CDU will immer beides, und sie kann auch beides.

Dieses Selbst­ver­ständ­nis prägte schon Konrad Adenau­er. Anfang Mai 1945, in den letz­ten Kriegs­ta­gen, kehrte er als Ober­bür­ger­meis­ter – einge­setzt von den Ameri­ka­nern – nach Köln zurück. Seine Stadt war jedoch während seiner Abwe­sen­heit eine andere gewor­den. Köln teilte das Schick­sal vieler ande­rer Städte nach der Herr­schaft der Natio­nal­so­zia­lis­ten. Wohnun­gen waren so knapp wie Brot und Milch. Es ging für fast jeder­mann allein ums Durch­kom­men und für Adenau­er damit darum, Kinder, Frauen und Männer durchzubringen.

Sein poli­ti­sches Hand­werks­zeug, erlernt bereits im Kaiser­reich, kam ihm bald schon zugute als Präsi­dent der Parla­men­ta­ri­schen Versamm­lung, die das Grund­ge­setz erar­bei­te­te, und natür­lich über fast einein­halb Jahr­zehn­te als Bundes­kanz­ler. Der Aufbau eines neuen Staats­we­sens mit all seiner Verwal­tung, mit all seinen gesetz­li­chen Grund­la­gen, mit all seinen admi­nis­tra­ti­ven Ansprü­chen fand in Adenau­er glück­li­cher­wei­se einen genia­len poli­ti­schen Archi­tek­ten und Bauleiter.

Und zugleich verlor sich Adenau­er nicht in den unend­lich vielen tagtäg­li­chen Alltags­auf­ga­ben. Er ließ sich auch ange­sichts des millio­nen­fa­chen Leids nicht davon abbrin­gen, an die Aussöh­nung mit frühe­ren Fein­den zu glau­ben. Er ließ sich ange­sichts der Greuel, die in deut­schem Namen began­gen worden waren, nicht davon abbrin­gen, für die Aufnah­me Deutsch­lands in die Gemein­schaft der freien Welt zu werben. Er ließ sich ange­sichts des Zivi­li­sa­ti­ons­bruchs der Schoa nicht davon abbrin­gen, Verge­bung und Freund­schaft in Israel zu suchen. Sein poli­ti­sches Wirken war zeit­le­bens geprägt von großen Linien und visio­nä­rer Kraft.

Auch Helmut Kohl verband diese beiden Züge – nicht nur, wenn es um Buche und Eiche im Pfäl­zer­wald ging. Nie hat er am Ziel der deut­schen Einheit gezwei­felt. Wo andere schwank­ten, da war er klar und stand­haft. Gleich­zei­tig war er ein prag­ma­ti­scher Erneue­rer. Unter Helmut Kohl gab es den wohl bislang größ­ten Moder­ni­sie­rungs­schub der CDU. Er machte aus ihr die moder­ne Mitglie­der­par­tei. Bereits als Minis­ter­prä­si­dent von Rhein­land-Pfalz hatte er sich junge, tatkräf­ti­ge Leute ins Kabi­nett geholt. Seine Heimat bekam das bundes­weit erste Kinder­gar­ten­ge­setz, die erste Verwal­tungs­re­form, ein Kran­ken­haus­re­form­ge­setz und neue Univer­si­tä­ten. Drei Jahr­zehn­te später verstand er sofort die Angst, die der Fall der Mauer bei unse­ren Nach­barn weckte; die Angst vor einem wieder­ver­ein­ten, einem plötz­lich wieder so viel größe­ren Deutsch­land; die Angst, die Deut­schen könn­ten sich nun nicht mehr für Europa inter­es­sie­ren. Doch Kohl wusste diese Angst zu nehmen, indem er versprach: Die deut­sche Einheit und die Einheit Euro­pas sind untrenn­bar. Und er versprach es nicht nur, er über­zeug­te unsere Part­ner und Freun­de auch davon, manch­mal in näch­te­lan­gen Verhandlungen.

Oft genug entsteht der Eindruck: Regie­rungs­ver­ant­wor­tung macht Menschen zu nacht­ak­ti­ven Wesen. Gerade durch die Kanz­ler­jah­re Angela Merkels ziehen sich jene Nächte des Ringens und Rettens. Und wo hart verhan­delt wird, da gilt zu jeder Stunde: Augen auf und nicht einfach so durch! Immer hell­wach blei­ben und bloß nichts verpas­sen. Anders ist der Unüber­sicht­lich­keit unse­rer Zeit nicht verant­wort­lich zu begegnen.

Wir sehen gerade eine Welt, in der es wieder mehr Irrglau­ben an Protek­tio­nis­mus gibt; eine Welt, die sich mehr und mehr dem verschlie­ßt, was sie zusam­men­hält: Multi­la­te­ra­lis­mus und fairer Handel; eine Welt, die sich entfernt vom Stre­ben nach Frie­den, nach Frei­heit und Soli­da­ri­tät, nach Demo­kra­tie und Menschen­rech­ten; eine Welt, deren sich China mit seiner Expan­si­ons­po­li­tik bedie­nen will. Wir sehen unsere Welt im Aufbruch zu einer Reise ins Unge­wis­se – und häufig wird schon der Eindruck vermit­telt: Dies könnte eine fatale Reise werden.

Wir sehen ein Europa, das anders und besser dasteht als vor 75 Jahren, keines­wegs als ein verwüs­te­tes Schlacht­feld, in dessen Mitte sich bald der Eiser­ne Vorhang schloss. Aber: Neue Spal­tun­gen drohen, wirt­schaft­li­che Prospe­ri­tät ist in der Welt nicht mehr ausschlie­ß­lich und selbst­ver­ständ­lich eine Sache Euro­pas, bei Stabi­li­tät und soli­den Finan­zen sind wir zwar voran­ge­kom­men, aber noch lange nicht am Ziel, mit dem Verei­nig­ten König­reich verlässt gar ein wich­ti­ger Part­ner und Verbün­de­ter die Euro­päi­sche Union, wenn auch nicht Europa.

Wir sehen unser Land heraus­ge­for­dert: in seinem Modell der Sozia­len Markt­wirt­schaft, von neuen Tech­no­lo­gi­en, von Hetze, Spal­tung und Hass. Und wir sehen Angela Merkel und erken­nen bei ihr wie bei der CDU einen klaren Blick auf die großen Linien und Zeit­läu­fe genau­so wie einen festen Glau­ben an einen neuen Zusam­men­halt, geprägt vom Respekt vor der Würde jedes Einzel­nen – einen neuen Zusam­men­halt hier bei uns und dort ringsum.

In all der Unüber­sicht­lich­keit gibt mir die Geschich­te meiner Partei Zuver­sicht. Vor 75 Jahren musste sich die Welt nach einem fürch­ter­li­chen Krieg neu sortie­ren. Sie stand unmit­tel­bar vor einem großen System­wett­be­werb und brauch­te neue Bünd­nis­se. Es war eine Welt, in der altbe­kann­te Koor­di­na­ten ihre Gültig­keit verlo­ren und auf inter­na­tio­na­ler Bühne die Rollen neu verge­ben wurden. Die Grün­dungs­müt­ter und -väter der CDU erkann­ten mit einer Klar­heit, die bis heute beein­dru­ckend ist, ihre Verant­wor­tung für eine fried­li­che­re Welt und für die Aussöh­nung mit den Nach­barn. In den Kölner Leit­sät­zen aus dem Juni 1945, einem der wich­ti­gen Grün­dungs­do­ku­men­te der Christ­de­mo­kra­tie, steht das hehre Ziel: „Deutsch­land muss führend sein in der Verwirk­li­chung der Sehn­sucht der Völker nach einem ewigen Frieden.“

Auch wenn dem euro­päi­schen Konti­nent Jahr­zehn­te der Spal­tung und Tren­nung bevor­stan­den – Europa hat seit 1945 die längs­te Frie­dens­pe­ri­ode seiner Geschich­te erlebt. Und es scheint einem Wunder gleich, wie schnell die Bundes­re­pu­blik Anteil am Zusam­men­wach­sen Euro­pas hatte.

75 Jahre CDU zeigen zwei­er­lei: Erstens ist da ein tiefer Drang, Verant­wor­tung zu über­neh­men. Da ist der Wille zum Gestal­ten und Regie­ren im Jetzt – denn nur so kann eine Partei ganz konkre­te Proble­me lösen. Da gibt es die Haltung, vor Krisen nicht wegren­nen zu wollen, sondern sie zu bewäl­ti­gen. Da gibt es die Über­zeu­gung, dass auch die große Staats­kunst Hand­werk ist, Tages­ge­schäft, der Blick in die Fußno­ten hundert­sei­ti­ger Verträ­ge, das Akten­stu­di­um, das Handy neben dem Kopf­kis­sen, und wenn es klin­gelt, ist es nicht der Wecker. Und zwei­tens zeigen 75 Jahre CDU: Da gibt es eine starke visio­nä­re Kraft, den Willen, nicht einfach im Hier und Jetzt stehen­zu­blei­ben und ängst­lich irgend­wie den Status quo zu vertei­di­gen, sondern Zukunft zu gestal­ten und die Frage zu stel­len: Was braucht unser Land, um auch in den kommen­den zehn, zwan­zig und drei­ßig Jahren erfolg­reich zu sein? Wie stif­ten wir mit einer klaren Vorstel­lung davon, wohin wir wollen, Orientierung?

Orien­tie­rung funk­tio­niert nur, wenn man weiß, was man will. Und sie funk­tio­niert vor allem nur, wenn man eine innere Haltung hat. Wenn ich als Vorsit­zen­de der CDU Deutsch­lands auf meine Partei schaue, dann sind es zwei sehr schöne deut­sche Begrif­fe, die unsere Haltung am besten umschrei­ben: Mut und Neugier. Mut haben, Entschei­dun­gen zu tref­fen, auch mal gegen den Strom zu schwim­men, nicht immer das Fähn­chen in den Wind zu hängen, die eige­nen Inter­es­sen hinter die Inter­es­sen des großen Ganzen zu stel­len, Wider­spruch hervor­zu­ru­fen und Wider­spruch zu ertragen.

Wenn sich dann der Mut noch mit Neugier verbin­det, dann wird daraus ein echter Gestal­tungs­drang für die Zukunft. Neugier ist der offene Blick nach vorne, nicht der ängst­li­che Blick auf den Status quo und schon gar nicht der verklär­te Blick zurück. Und gleich­zei­tig ist Neugier keine Zukunfts­be­sof­fen­heit, sondern auch der abwä­gen­de Blick auf die Frage: Ist dieses Neue wirk­lich besser als das Bestehen­de? In diesem Sinne hat die CDU immer wieder Neuland entdeckt. Und die CDU muss auch in Zukunft noch viel Neuland entde­cken wollen. Das Neue macht uns keine Angst, sondern spornt uns an.

In diesen 75 Jahren haben ganz verschie­de­ne Vorsit­zen­de die Partei geführt. Keiner und keine war wie der andere. In den kommen­den Wochen wird sich die Bericht­erstat­tung über die Union damit beschäf­ti­gen, wer der oder die Neue, Neunte in dieser Riege wird. Ich glaube: Das wird für die Zukunft der CDU weni­ger entschei­dend sein, als die Schlag­zei­len und Leit­ar­ti­kel vorge­ben werden. Denn die CDU war und ist immer so viel mehr als der oder die eine. So wie sie oft genug das andere getan hat, das Über­ra­schen­de und Uner­war­te­te, so ist sie auch eine Partei der vielen ande­ren hinter dem oder der einen. Sie ist die Partei der 75000 Frauen und Männer, die vor Ort mit Herz­blut, mit Liebe zur Heimat und mit einem ausge­präg­ten Pflicht­ge­fühl Poli­tik machen, im Rathaus, im Gemein­de­rat und in der Stadt­ver­tre­tung. Sie ist das alte Mitglied, dessen Ausweis aus Papier die Jahr­zehn­te zerfled­dert haben, und das junge Mitglied, das gerade einge­tre­ten ist und seinen digi­ta­len Ausweis per E-Mail bekommt. Die CDU Deutsch­lands ist die Partei mit 244 Millio­nen Zweit­stim­men seit der ersten Bundes­tags­wahl. 244 Millio­nen Mal Vertrauen.

Auf die CDU ist Verlass – weil sie bereit ist, ganz konkre­te Proble­me zu lösen und Krisen zu mana­gen. Weil sie die Kraft hat, über den Tag hinaus­zu­schau­en. Ja, auf die CDU ist in diesem Sinne auch in Zeiten von Corona Verlass. Beispiel­haft steht dafür das umfang­rei­che Konjunk­tur- und Zukunfts­pa­ket, das die Bundes­re­gie­rung vor weni­gen Wochen auf den Weg gebracht hat. Einer­seits geht es darum, ganz konkre­te Lösun­gen zu entwi­ckeln, wie wir durch die Krise und aus der Krise kommen – unter ande­rem mit Senkung der Mehr­wert­steu­er, mit Unter­stüt­zung für Fami­li­en, mit Stär­kung des Gesund­heits­we­sens. Ande­rer­seits geht es darum, kräf­tig auf Zukunft zu setzen über die Krise hinaus – mit massi­ven Inves­ti­tio­nen in inno­va­ti­ve und klima­scho­nen­de Zukunfts­tech­no­lo­gi­en, mit Entbü­ro­kra­ti­sie­rung, mit einem Digi­ta­li­sie­rungs­schub der Verwal­tung und mit moder­ner und wirk­lich digi­ta­ler Bildung. Damit ist dieses Konjunk­tur- und Zukunfts­pa­ket ein echtes Kraft­pa­ket für Deutsch­land. Es kann unser Land inno­va­ti­ver, stär­ker, klima­freund­li­cher, mensch­li­cher und besser machen.

Im Augen­blick sehen wir vor allem Corona – wen wundert’s? Doch es wird wieder ein Leben ohne diese Pande­mie geben, dafür ein Leben mit ande­ren Fragen, ande­ren Nöten, die wir schär­fer sehen werden: Wohnungs­man­gel in Ballungs­zen­tren, Kinder mit unglei­chen Start­chan­cen, unhalt­ba­re Arbeits­be­din­gun­gen in manchen Bran­chen, moder­nes „Klick-Prole­ta­ri­at“, über­haupt die Arbeits­welt der Zukunft. Nein, heute geht es anders als vor 75 Jahren nicht darum, ein neues Staats­we­sen aufzu­bau­en. Aber staat­li­ches Handeln und Verwal­tung brau­chen einen massi­ven Schub, um schnell, effi­zi­ent und inno­va­tiv die in sie gesetz­ten Erwar­tun­gen erfül­len zu können. Und deshalb fragen wir in unse­rer aktu­el­len Kampa­gne – #kick­of­f2030 – die Menschen auch nach ihren Erfah­run­gen, die sie in der Corona-Krise machen, damit wir daraus Lösun­gen entwi­ckeln können. Wir wissen nicht immer alles besser. Aber wir wollen immer unser Land besser machen.

Deshalb geht es uns Christ­de­mo­kra­ten um Fragen, die weit in die Zukunft reichen und doch schon heute Antwor­ten verlan­gen: In zehn Jahren werden wir nicht mehr darüber reden können, wie der Unter­richt digi­ta­ler wird. Die Kinder von heute werden dann junge Erwach­se­ne sein; sie werden Berufe erler­nen oder studie­ren; sie werden eine Fami­lie grün­den und ihre Träume leben wollen. Und wir, wir brau­chen ihre Ideen, ihre Neugier­de, ihr Wissen. Wir können in zehn Jahren nicht mehr unsere Infra­struk­tur schnel­ler planen, geneh­mi­gen und bauen wollen; wir brau­chen sie im Grunde schon morgen, spätes­tens. Und wir können es uns dann auch nicht mehr leis­ten, nur über Inno­va­tio­nen zu reden. Wir müssen sie schaf­fen; sie müssen stolz den Aufdruck tragen: „Made in Germany“.

Wirk­lich entschei­dend für die Zukunft der CDU ist die Haltung, mit der sie Deutsch­land gestal­tet, auch sich selbst zutraut, ja zumutet.

Mut und Neugier braucht unser Land. Mut und Neugier braucht auch die Partei, die ihm dienen will. Ja, und manch­mal hat die CDU diesen Mut und diese Neugier auch vermis­sen lassen. Die CDU war sicher­lich nicht an vorders­ter Front der Frau­en­be­we­gung – aber als wir es begrif­fen haben, waren wir konse­quent: erste Bundes­kanz­le­rin, erste Vertei­di­gungs­mi­nis­te­rin, erste EU-Kommis­si­ons­prä­si­den­tin. Wir haben auch die Chan­cen und vor allem auch die wirt­schaft­li­che Notwen­dig­keit zu lange unter­schätzt, die sich aus der Zuwan­de­rung erge­ben, und genau­so die Heraus­for­de­rung der Inte­gra­ti­on. Jetzt haben wir ein Fach­kräf­te­zu­wan­de­rungs­ge­setz, die CDU holte das Amt der Inte­gra­ti­ons­be­auf­trag­ten ins Bundes­kanz­ler­amt, die Inte­gra­ti­ons­gip­fel sind heute fester Bestand­teil der Arbeit in der Bundesregierung.

Wir haben auch Fami­li­en nicht früh genug zuge­traut so zu leben, wie sie wollen. Heute sagen wir: Fami­lie ist dort, wo fürein­an­der Verant­wor­tung über­nom­men wird. Fami­li­en sollen ihr Leben leben und nicht die Erwar­tung ande­rer. Ja, und wir haben auch dem Umwelt– und Klima­schutz nicht immer die nötige Prio­ri­tät einge­räumt, obwohl wir doch früh genug erkannt hatten: Ein lebens­wer­tes Land ist immer auch eines, das die Bewah­rung der Schöp­fung als etwas Selbst­ver­ständ­li­ches begreift.

Deutsch­land sieht heute anders aus als vor 75 Jahren. Deutsch­land ist viel­fäl­ti­ger gewor­den – eine Viel­falt, die nicht nur bunt, sondern auch heraus­for­dernd ist. Unsere Umbrü­che sind andere als vor 75 Jahren, doch genau­so gilt damals wie heute: Ohne Verbin­den­des, ohne starke Bande bei allen Unter­schie­den, ohne einen echten Zusam­men­halt wird es nicht funktionieren.

Wie die CDU auf ihre eigene Geschich­te schaut, entschei­det darüber, wie sie in die Zukunft schaut. Und wie die CDU in die Zukunft schaut, entschei­det darüber, wie sie auf die eigene Geschich­te schaut. Vergan­gen­heit und Zukunft machen sicht­bar, was Verän­de­rung bedeu­tet. Die CDU wäre in den vergan­ge­nen 75 Jahren nicht so erfolg­reich gewe­sen, wenn sie sich nicht immer wieder auf Verän­de­run­gen einge­stellt hätte, wenn sie sich nicht immer wieder zu neuen Ufern aufge­macht hätte, wenn sie sich nicht immer wieder auch einmal etwas Uner­war­te­tes zuge­traut hätte.

Das gelang ihr aber nur, weil sie immer festen Boden unter den Füßen hatte und sich auf ein blei­ben­des Funda­ment stüt­zen konnte. Dieses Funda­ment ist bei allem, was Christ­de­mo­kra­tin­nen und Christ­de­mo­kra­ten tun, die unan­tast­ba­re Würde jedes einzel­nen Menschen, so wie es das Grund­ge­setz formu­liert. Hinter dieser Würde steht für uns die Gottes­eben­bild­lich­keit des Menschen und damit die Frei­heit jedes Einzel­nen – sein Recht auf Leben und Selbst­ver­wirk­li­chung. Leben hat Würde – immer und ausnahms­los. Das C in unse­rem Partei­na­men kate­go­ri­siert nicht, beur­teilt nicht, bewer­tet nicht. Das C redu­ziert Menschen nicht; es schätzt sie wert. Im Grunde genom­men ist das die Essenz des christ­de­mo­kra­ti­schen Werte­fun­da­ments. Daraus spei­sen sich die zentra­len Grund­wer­te aus dem ersten Grund­satz­pro­gramm der CDU, dem Ludwigs­ha­fe­ner Programm von 1978: Frei­heit, Soli­da­ri­tät, Gerech­tig­keit. Daraus speist sich unser Bekennt­nis zur Sozia­len Markt­wirt­schaft, die der Frei­heit des Einzel­nen ebenso gerecht wird wie dem sozia­len Ausgleich, ohne den echte Frei­heit gar nicht möglich ist. Daraus ergibt sich unser Verständ­nis von einem star­ken, hand­lungs­fä­hi­gen und effek­ti­ven Staat, der die Frei­heits­rech­te schützt und Sicher­heit gibt. Daraus ergibt sich unser Verständ­nis des Staats, der seine Bürger schützt, aber nicht bevormundet.

Als Christ­de­mo­kra­ten sehen wir stets den einzel­nen Menschen und damit viele verschie­de­ne Lebens­ent­wür­fe. Wir wollen, dass jeder im fried­li­chen Zusam­men­le­ben mit seinen Nach­barn, Kolle­gen und Freun­den sein Leben so gestal­ten kann, wie er es selbst für rich­tig erach­tet. Wir reden Menschen nicht ein, dass sie etwas nicht könn­ten. Sie sollen so leben, wie es ihnen rich­tig erscheint, denn wir glau­ben, dass sie selbst am besten wissen, was das bedeu­tet. Der Mensch in seiner unver­äu­ßer­li­chen Würde ist unser Maßstab. Die Zeiten mögen sich ändern, die Antwor­ten von Poli­tik müssen sich ändern, die Krisen werden andere sein, die Erfol­ge auch – aber eines muss immer blei­ben: die Achtung der unan­tast­ba­ren und unver­äu­ßer­li­chen Würde jedes einzel­nen Menschen.

In diesem Wissen, in dieser Haltung und in diesem Blick auf die Zukunft feiert die CDU Deutsch­lands in diesen Tagen ihren 75. Geburts­tag: Die CDU – das sind 75 Jahre Verant­wor­tung, fünf­zig Jahre Regie­rung, fünf Bundes­kanz­ler, eine Partei. Gegrün­det wurde die deut­sche Christ­de­mo­kra­tie auf den Trüm­mern eines Krie­ges, der von deut­schem Boden aus millio­nen­fa­ches Ster­ben, Morden und Leid gebracht hat. Die CDU wurde auf diesen Trüm­mern gegrün­det, sie wurde aber vor allem für den Wieder­auf­bau gegrün­det. Der Berli­ner Grün­dungs­auf­ruf aus dem Juni 1945 hebt mit den großen Worten an: „In der schwers­ten Kata­stro­phe, die je über ein Land gekom­men ist, ruft die Christ­lich Demo­kra­ti­sche Union Deutsch­lands aus heißer Liebe zum deut­schen Volk die christ­li­chen, demo­kra­ti­schen und sozia­len Kräfte zur Samm­lung, zur Mitar­beit und zum Aufbau einer neuen Heimat.“

Der Aufbau einer neuen Heimat – das war der Grün­dungs­im­puls. Und der Aufbau einer neuen Heimat muss der Impuls jeder Gene­ra­ti­on von Christ­de­mo­kra­tin­nen und Christ­de­mo­kra­ten sein. Die Grün­dungs­müt­ter und -väter der CDU waren mit der „schwers­ten Kata­stro­phe, die je über ein Land gekom­men ist“, konfron­tiert. Wir sind heute mit einer Krise konfron­tiert, die in ihren wirt­schaft­li­chen und sozia­len Folgen die tief­grei­fends­te Krise seit dem Zwei­ten Welt­krieg ist. Und was kann die CDU in dieser Situa­ti­on des Jahres 2020 ande­res leiten als der Mut und die Neugier der Gründergeneration?

Mut und Neugier, gepaart mit prag­ma­ti­scher Problem­lö­sung und Zukunfts­per­spek­ti­ve – das ist Ausdruck einer echt christ­de­mo­kra­ti­schen Verant­wor­tung; einer Verant­wor­tung, die sagt: Erst das Land, dann die Partei. Dabei geht es nicht um irgend­ei­ne Verant­wor­tung – auch das haben uns vor 75 Jahren die vielen Frauen und Männer ins Stamm­buch geschrie­ben, die die CDU gegrün­det haben: „Wir rufen euch auf, alles Tren­nen­de zurück­tre­ten zu lassen.“ Zusam­men­halt aus Verant­wor­tung – darum ging es vor 75 Jahren, darum geht es heute, darum geht es auch in Zukunft.

Diese Zukunft beschreibt der Berli­ner Grün­dungs­auf­ruf in seinem letz­ten Satz in wunder­schö­ner Spra­che: „Voll Gott­ver­trau­en wollen wir unse­ren Kindern und Enkeln eine glück­li­che Zukunft erschlie­ßen.“ Wich­tig an dieser Zukunfts­vi­si­on ist die Tatsa­che, dass „glück­li­che Zukunft“ ein offe­ner Begriff ist. Diese Offen­heit unter­schei­det im Übri­gen die christ­de­mo­kra­ti­sche Haltung von ideo­lo­gi­schen Haltun­gen. Allzu oft werden feste Gesell­schafts­bil­der entwor­fen, die sich als Ziel der Geschich­te verste­hen. Aber eine solche Haltung wider­spricht der mensch­li­chen Frei­heit. Wenn der Berli­ner Grün­dungs­auf­ruf davon spricht, dass man unse­ren Kindern und Enkeln eine glück­li­che Zukunft erschlie­ßen wolle, dann haben die auch ein Wört­chen dabei mitzu­re­den, was sie sich unter „glück­lich“ vorstel­len. Deshalb ist der Begriff „erschlie­ßen“ auch so wert­voll. Andere hätten viel­leicht davon gespro­chen, eine glück­li­che Zukunft zu schaf­fen. Zukunft ist aber etwas Offe­nes; und sie muss offen für die mensch­li­che Frei­heit kommen­der Gene­ra­tio­nen sein.

Das ist nicht meine Geschich­te, das ist die Geschich­te der CDU, die allen Kindern und allen Enkeln eine glück­li­che Zukunft erschlie­ßen will. Es ist die Geschich­te eines Landes, das in Kinder­au­gen Hoff­nung und Zuver­sicht sehen will. Deutsch­land soll ein Land der Glücks­kin­der sein! Und Glücks­kin­der gibt es nicht allein, über­haupt gibt es kein Glück allei­ne. Wir Menschen brau­chen Zusam­men­halt – und wir finden ihn in der Fami­lie und bei Freun­den, in einem Verein und auch in einer Partei.

Und deshalb geht es auch 75 Jahre nach Grün­dung der CDU heute um Zusam­men­halt aus Verant­wor­tung. Denn wir werden unse­ren Kindern und Enkeln nur eine glück­li­che Zukunft erschlie­ßen können, wenn Zusam­men­halt Wirk­lich­keit ist. Und wenn wir auch heute die visio­nä­re Kraft haben, die den Menschen Mut macht.

Ob das gelingt, das liegt an uns allen. Die Zukunft ist offen. Die Seiten des Geschichts­bu­ches der Zukunft sind noch leer. Es liegt an uns, ob und wie wir mit an diesem Buch schrei­ben. Die CDU Deutsch­lands ist dazu willens und in der Lage. Heute genau­so wie vor 75 Jahren.