Verleihung der goldenen Medaille für Völkerverständigung und Versöhnung 2022
Verleihung der goldenen Medaille für Völkerverständigung und Versöhnung 2022
Verleihung der goldenen Medaille für Völkerverständigung und Versöhnung 2022
Senioren-Union ehrt Ex-Staatspräsident Lech Walesa mit der „Goldenen Medaille für Verdienste um Versöhnung und Verständigung unter den Völkern“
Modischer Kurzhaarschnitt, leger in blauen Sneakers, rhetorisch brillant und angriffslustig: Lech Walesa, Ikone der polnischen Freiheitsbewegung, nimmt bei seiner Ehrung durch die Senioren-Union in der Französischen Friedensstadtkirche in Berlin kein Blatt vor den Mund: Das Schicksal habe Deutschland mit der Einheit die Aufgabe zugewiesen, an führender Stelle für die Erneuerung und den Zusammenhalt des vereinten Europas zu kämpfen. Wenn Europa in die Hände von Demagogen und Populisten falle, müsse sich Deutschland fragen lassen, ob es genug getan habe.
Der ehemalige Vorsitzende der polnischen Gewerkschaft Solidarnosc, gelernter Elektriker auf der Danziger Lenin-Werft, später Staatspräsident und Friedensnobelpreisträger, hat als Anführer der Streikbewegung 1980 nicht nur Polen verändert. Der Vorsitzende der Senioren-Union, Professor Dr. Otto Wulff, bringt es bei der Verleihung der „Goldenen Medaille für Verdienste um Versöhnung und Verständigung unter den Völkern“ auf den Punkt: Walesa habe als Vorbote eines freiheitlichen Wandels in Osteuropa eine wesentliche Grundlage für die spätere Wiedervereinigung Deutschlands gelegt, lobt Wulff beim Festakt vor 200 geladenen Gästen.
Mit dem „Praktiker und Revolutionär“, wie sich Walesa selbst beschreibt, ehrt die Senioren-Union nach Michail Gorbatschow bereits den zweiten Friedensnobelpreisträger aus dem Osten mit der Versöhnungsmedaille. Als ausgewiesener Europäer habe der heute 78-Jährige das Schicksal seines Heimatlandes mit einem freien Europa verbunden. Die größten Leistungen der Nachkriegsgeschichte seien die deutsch-polnische Versöhnung nach einem schrecklichen Krieg und das Entstehen eines freien und demokratischen Europas, würdigt Wulff den Beitrag Walesas zur Überwindung des Kalten Krieges im letzten Jahrhundert und unterstreicht: „Für alle friedliebenden Europäer war es ein Fanal für die Versöhnung von Polen und Deutschen, als Lech Walesa zum Staatspräsidenten Polens gewählt wurde und er den kurz zuvor neu gewählten deutschen Bundespräsidenten Roman Herzog anlässlich des Gedenktages des am 1. August 1944 begonnenen polnischen Aufstandes gegen die deutschen Besatzer nach Polen einlud. Diese Einladung war ein unübersehbares Zeichen der Versöhnung, allen in der Welt zu zeigen, dass die deutsch-polnischen Beziehungen feste europäische Grundmauern bekamen. Die Generation, die in diesen Jahren die politischen Entscheidungen traf, hatte noch erlebt, was Hass und Krieg bedeuteten. Sie gab der Verständigung neue Chancen, als in den Tagen um den 9. November 1989 mit dem Fall der Berliner Mauer der erste frei gewählte Ministerpräsident Polens, Tadeusz Mazowiecki, in seiner Regierungserklärung „eine echte Aussöhnung von Deutschen und Polen“ forderte, die der von Deutschen und Franzosen bereits praktizierten freundschaftlichen Beziehung nicht nachstehen sollte.“
Arbeiterführer Walesa, der seit 1967 auf der Danziger Lenin-Werft mit Streiks für bessere Arbeitsbedingungen kämpfte, betrat 1980 die Bühne der Weltpolitik, als er sich an der Spitze der Solidarnosc mit den kommunistischen Führern in Polen anlegte. Die Regierung verhängte das Kriegsrecht, verhaftete die Widerständler und stellte Walesa unter Hausarrest. Laudator Dr. Wolfgang Schäuble erinnert an das „Wunder einer friedlichen Revolution“ unter Mitwirkung des späteren polnischen Papstes Johannes Paul II. Deutschland und Europa hätte Polen in der jüngeren Vergangenheit viel zu verdanken und schon lange zuvor in der Geschichte. Auch das könne man von Lech Walesa lernen: Niemals aufgeben, und auch zu gewaltfreier Zusammenarbeit immer bereit sein. Sicherheit und Entspannung, Abschreckung oder Verteidigungsfähigkeit und Bereitschaft zur Partnerschaft, neu sei das nicht, aber so aktuell wie eh und je. Nur so würden Frieden und Freiheit zu dauerhafter Stabilität. Dazu brauche man Polen.
Mit Blick auf den aktuellen Ukraine-Krieg räumt der ehemalige Bundestagspräsident selbstkritisch ein, dass die deutsche Politik zu lange die Augen vor dem russischen Expansionsdrang verschlossen habe. Polen habe schon nach dem Russland-Angriff auf Georgien 2008 vor Putin gewarnt. „Das haben wir nicht ernst genommen.“ Der polnische Preisträger mit dem markanten weißen Schnauzbart nickt.
Walesa sieht im russischen Staatspräsidenten Wladimir Putin einen Führer, der wie einst Stalin nach einem möglichst großen Reich strebe. Jetzt gehe es darum, dass der Westen den Ukrainern genug Geld und Waffen gebe, damit die Regierung in Kiew ihre Freiheit gegen die russischen Angriffe verteidigen könne. Der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz ergänzt später, dass Putin nichts mehr fürchte als Demokratien. Paul Ziemiak, selbst gebürtiger Pole und heute Vorsitzender der deutsch-polnischen Parlamentarier-Gruppe im Deutschen Bundestag, sieht in Walesa das beste Vorbild für die junge Generation. In seinem engagierten Grußwort auf Polnisch fordert Ziemiak kämpferisch mehr Einsatz für die Freiheit. Der polnische Honorarkonsul Arndt Kirchhoff stellt klar, dass in der Ukraine „unsere gemeinsamen Werte verteidigt werden“. Dass er als Unternehmer und Arbeitgeber-Chef die massiven Streiks unter Walesa würdige, sei sicher ungewöhnlich, schmunzelt Kirchhoff.
Ein Anliegen will der polnische Preisträger den Gästen vor der verdienten Ordensverleihung aber noch mit nach Hause geben. Deutschland müsse die klügsten Köpfe zusammenbringen, um die Programme und Strukturen in Europa zu erneuern, damit die schwer erkämpfte Freiheit nicht wieder verloren gehe. „Ich möchte die Freiheit nicht verlieren durch Demagogen und Populisten.“ Da wirkt mancher Beobachter schon etwas nachdenklich.